Ein Vibrato-Spiel wie die Flügel eines Schmetterlings (2024)

Aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen, wurde B.B.King zum stilbildenden Bluesgitarristen. Eine neue Biografie über den Künstler zeigt exemplarisch den Aufstieg des afroamerikanischen Musikstils.

Christoph Wagner

4 min

Ein Vibrato-Spiel wie die Flügel eines Schmetterlings (1)

Bei einer Pressekonferenz anlässlich der ersten Tournee der Rolling Stones in den USA wurde Mick Jagger nach seinen musikalischen Einflüssen befragt. «Muddy Waters», gab er prompt zur Antwort, worauf die Journalisten nachhakten: «Wo ist denn das?»

Die Episode aus dem Jahr 1964 legte die Ignoranz offen, mit der die amerikanische Gesellschaft der afroamerikanischen Musik begegnete, gehörte Muddy Waters doch neben B.B.King zu den Grossen des Blues. Von der weissen Mehrheit abgelehnt, fristete die afroamerikanische Musik ein Nischendasein im Pop-Betrieb.

Der Popularitätsschub, den die Rolling Stones dem schwarzen Blues bescherten, hievte B.B.King aus dem Karriereloch, in das ihn zuvor der weisse Rock ’n’Roll befördert hatte. Nicht lange, und King trat im Hippietempel Fillmore West in San Francisco auf, wo er von den Blumenkindern begeistert gefeiert wurde. Eine US-Tour zusammen mit den Rolling Stones 1969 machte ihn endgültig zum König des Blues, wobei die musikalische Einverleibung der afroamerikanischen Musik durch die britischen Bürgersöhne einer tiefempfundenen Wertschätzung, ja fast religiöser Verehrung entsprang. Zur Krönung nahm King 1971 mit viel Pop-Prominenz in London ein Album auf, bei dem der Beatle Ringo Starr am Schlagzeug sass.

Blues verschaffte der Not Gehör

Der Aufstieg hatte etwas Kometenhaftes. Aus purer Armut war King, geboren 1925, zu einer Ikone des Blues geworden, bewundert von einer Legion von Pop-Stars. Mit Akribie hat der amerikanische Musikjournalist Daniel De Visé den Lebensweg des Blues-Stars in einer umfassenden Biografie nachgezeichnet. Und es spricht für die Bedeutung von B.B.King, dass sich «King of the Blues» wie eine Geschichte des Blues ausnimmt.

Wobei B.B.Kings Lebensgeschichte derjenigen vieler schwarzer Musiker und Musikerinnen ähnelt. Wie Muddy Waters wurde auch Riley King, so hiess B.B.King mit bürgerlichem Namen, im Mississippi-Delta in eine Familie von Baumwollfarmern hineingeboren. Er wuchs nach der Trennung der Eltern und dem frühen Tod der Mutter bei Verwandten in Bretterhütten auf, ohne fliessendes Wasser und elektrisches Licht. Eine Zahnbürste galt als unerschwinglicher Luxus.

Im Blues verschaffte sich die Not Gehör. King war mit den «Field Hollers» vertraut, mit denen bei der Arbeit auf den Baumwollfeldern kommuniziert wurde. Im sonntäglichen Gottesdienst begleitete der Priester seine ekstatischen Hymnen auf der Gitarre. Gelegentliche Besuche von Bukka White, einem älteren Cousin und Bluesmusiker, weckten Kings Interesse an dem Saiteninstrument. Mit elf schenkte ihm ein Onkel eine Klampfe, mit der er bald eine Gospelgruppe begleitete. Dann floh er vor der Feldarbeit nach Memphis, um als Schweisser zu arbeiten und abends den Blues zu spielen. 1949 erhielt B.B.King, wie er jetzt genannt wurde – einen täglichen Slot im Lokalradio.

Im neueröffneten Studio von Sam Phillips nahm er seine erste Platte auf, ein paar Jahre bevor Elvis durch dieselbe Tür trat. Die gesellschaftliche Diskriminierung begann poröser zu werden. Kings nächste Einspielung schaffte es in die «Rhythm & Blues»-Charts. Die Erfolgskurve zeigte nach oben. Touragenten offerierten Gagen, die Appetit aufs Showgeschäft machten. Doch die verdienten Dollars gab B.B.King gleich wieder aus. Bald stand ein Cadillac vor der Tür. Unsummen verzockte der Musiker überdies beim Glücksspiel; an die 40 Millionen Dollar sollen es im Laufe seines Lebens gewesen sein.

Laut und ungestüm

Anstatt in Kneipen und Spelunken trat King nun in Theatern und in immer grösseren Auditorien auf, die von Afroamerikanern betrieben wurden. Doch in Zeiten der Segregation auf Gastspielreise zu gehen, glich einem Spiessrutenlauf. Von Hotels abgewiesen, musste die Band oft im Tourbus übernachten.

B.B.Kings Gitarrenspiel klang jetzt ungestümer, sein Sound lauter und klarer. Er liess sein Instrument, das er liebevoll «Lucille» nannte, mit markantem Tremolo «singen». «Butterfly» nannte er diese Technik, bei der er die Finger der Griffhand beim Vibratospiel wie die Flügel eines Schmetterlings flattern liess. Sie wurde zu seinem stilistischen Markenzeichen.

Die Adaption durch weisse Rockmusiker verhalf dem zuvor als «Race Music» diskriminierten Blues zu einem kommerziellen Höhenflug. Das beförderte auch B.B.King auf den Zenit seiner Laufbahn. Um das Interesse aufrechtzuerhalten, fädelte sein Manager Plattenaufnahmen mit Pop-Grössen wie U2 ein, die nur zu gerne mit ihrem Idol kooperierten. Obwohl als Legende verehrt, verwandelte sich der Bluessänger und -gitarrist im heraufziehenden Zeitalter elektronischer Musik allmählich in ein Relikt der Vergangenheit. Schwer krank, bestritt er die Konzerte seiner letzten Lebensjahre im Sitzen. 2015 starb B.B.King im Alter von 89 Jahren.

De Visés Biografie basiert ohne Zweifel auf einer enormen Rechercheleistung. Allerdings räumt er nun selbst Trivialitäten und abgeschmackten Witzen viel Platz ein, was das 700-seitige Buch um einiges zu umfangreich geraten liess. Auch gockelhafte Prahlereien und sexistische Vorurteile werden vom Autor völlig unkritisch kolportiert, als hätte es die Frauenemanzipation nie gegeben. Die fehlende Sensibilität aber schmälert letztlich das Verdienst, einen der schwarzen Urväter der Pop-Musik angemessen zu würdigen. B.B.King hätte eine kritischere Biografie verdient.

Ein Vibrato-Spiel wie die Flügel eines Schmetterlings (2)

Daniel de Visé: King of the Blues. Das Leben des B.B.King. Aus dem Englischen von Holger Hanowell. Reclam-Verlag, 2023. 697S., Fr. 39.90.

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